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Wissenschaftliche Begleitung: »Unsere Gesellschaft ist reich an innovativen Ideen«

So bedeutsam Demokratieskepsis, autoritäre Tendenzen und andere Herausforderungen für die demokratische Kultur Deutschlands momentan sind, sie treffen auf eine aktive Bürgerschaft und eine vielfältige demokratische Praxis, die entwickelt und gestärkt werden kann. Die Grundüberzeugung der fördernden Stiftungen, dass es ein förderfähiges und förderwürdiges zivilgesellschaftliches Demokratiepotential in Deutschland gibt, hat sich während der Laufzeit des Programms eindrucksvoll bestätigt. Dabei lassen sich heute sechs Säulen und Handlungsbereiche einer vielfältig gewordenen Demokratie unterscheiden.

Als erste Säule stehen hierzulande nach wie vor die Formen repräsentativer Demokratie im Zentrum politischen Handelns, die ihren Alleinvertretungsanspruch jedoch schon seit längerer Zeit verloren haben. Ein wachsender direktdemokratischer Bereich mit Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden und Volksabstimmungen ist in den Kommunen und Bundesländern als zweite Säule hinzugekommen. Auch ein dritter Demokratiebereich hat in den letzten Jahren erheblich zugelegt: Die konsultative und dialogische Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ist vor allem auf kommunaler Ebene gefragt. Wo Bürgerbeteiligung vernachlässigt oder nur symbolisch eingesetzt wird, kommt es verstärkt zu Protesten, Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen. Längst ist dieser Bewegungssektor zu einem eigenen Bereich demokratischen Handelns avanciert. Ähnlichen Zuspruch erfährt auch das bürgerschaftliche Engagement als fünfte Säule der vielfältigen Demokratie. Und nicht zuletzt haben sich mittlerweile auch viele Institutionen des Alltags für demokratische Mitgestaltung geöffnet. So gibt es kaum einen Lebensbereich, der sich der Forderung nach Alltagsdemokratie gänzlich entziehen kann. Diese sechs Säulen der Demokratie finden sich in den allermeisten Projekten des Förderfonds Demokratie wieder. Dabei fällt eine eindeutige Zuordnung nicht immer leicht, viele Vorhaben strahlen auf mehrere Demokratiebereiche aus.

Das Gesamtbild der Bewerbungen macht deutlich, dass bürgerschaftliches Engagement, dialogorientierte Formate und Alltagsdemokratie mit jeweils 20 Prozent und mehr die zentralen Demokratieformen darstellen, denen sich zivilgesellschaftliche Initiativen im Rahmen des Programms gewidmet haben. Bestätigt wird der Gesamteindruck durch einen Blick auf die demokratischen Kompetenzen, die durch die Projektarbeit gestärkt werden sollten. Auch hier steht die Dialogfähigkeit und –bereitschaft an der Spitze, dicht gefolgt von der Wertebildung. In einigem Abstand werden Selbstwirksamkeit, Offenheit, Empathiestärkung, Aktivbürgerschaft und Konfliktfähigkeit genannt.

»Unsere Gesellschaft ist offensichtlich reich an innovativen Ideen und an Bereitschaft zum Engagement«, sagt der Demokratieforscher Prof. Dr. Roland Roth, der den Förderfonds Demokratie wissenschaftlich begleitet und formativ evaluiert hat.

Die vielfältigen demokratischen Aufbrüche in der Zivilgesellschaft in den letzten Jahrzehnten und das weltweite Experimentieren mit neuen Formen der politischen Partizipation böten einen enormen Fundus, um die vor mehr als einem halben Jahrhundert ausgegebene Parole »Mehr Demokratie wagen!« zeitgemäß zu buchstabieren und vom »Wissen der Vielen« angemessen Gebrauch zu machen. Die Vielfalt der Bewerbungen und der ausgewählten Projekte offenbaren laut Roth »ein beachtliches zivilgesellschaftliches Demokratiepotential, das in Zeiten politischer Polarisierung und sozialräumlicher Segmentierung Unterstützung verdient«. Denn ohne eine »partizipative Stärkung und Vitalisierung der Demokratie« werde es keine freiheitlichen und menschenrechtskonformen Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit geben, ist Roth überzeugt. In diesem Sinne formuliert der Politikwissenschaftler Roth einige Gelingensbedingungen vielfältiger Demokratie und skizziert praxisnahe Handlungsempfehlungen für eine zukünftige demokratische Engagementförderung, die weit über den Kontext des Förderprogramms hinausreichen.

Demnach sei es wichtig, die Legitimation der verschiedenen Formen demokratischer Beteiligung grundsätzlich anzuerkennen und ein produktives Zusammenspiel zu suchen. Das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen demokratischen Formen dürfe nicht »kannibalisierend«, sondern müsse vielmehr »anerkennend und institutionell gut geregelt« sein. Zudem sei es nötig, die soziale Selektivität politischer Beteiligung zu verringern und politische Gleichheit zu stärken. Schließlich gehe es nicht nur um »mehr« Engagement, sondern vor allem um mehr »gutes« Engagement, das sich an verbindlichen Qualitätskriterien ausrichtet.

Engagement- und Demokratieförderung dürfe aber auch Kontroversen und Konflikte nicht scheuen. »Wenn demokratische Politik darin besteht, zusammen über die gemeinsamen Angelegenheiten zu beraten und zu entscheiden, die Einfluss auf unser Leben haben, ist es normal und ein gutes Zeichen, dass eine Vielfalt von Perspektiven sichtbar wird«, sagt Roth. Nur so seien politische Lernprozesse möglich. Engagementförderung sei zugleich auf »Offenheit in Politik und Verwaltung« angewiesen. Jede Form demokratischen Engagements lebe von »Resonanz und Anerkennung«, nicht nur in der Bürgerschaft, sondern auch in der institutionellen Politik. So würden die geförderten Demokratie-Initiativen nicht nur dringend zur demokratischen Selbstkorrektur der Zivilgesellschaft, sondern auch zur Stärkung der repräsentativen Demokratie gebraucht. »Für eine krisenfeste Demokratie sind sie unverzichtbar – und in dunkleren Zeiten stimmen sie hoffnungsvoll«, zieht Roth ein optimistisches Fazit des Förderprogramms.

Bibliografische Angaben

Roland Roth: Demokratie wirksam fördern. Handlungsempfehlungen für eine demokratische Praxis. Bonn 2023, Beiträge zur Demokratieentwicklung von unten Nr. 32, Verlag Stiftung Mitarbeit, 260 S., 14,00 Euro, ISBN 978-3-941143-48-7, zu beziehen über den Buchhandel oder www.mitarbeit.de.